Predigttext Matthäus 14, 22
Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. 24 Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. 25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 26 Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Angst. 27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Habt Mut, ich bin's; fürchtet euch nicht! 28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 30 Als er aber den starken Wind sah, bekam er Angst und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? 32 Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!
Sturm
Meine Hände krallen sich ins Holz. Das Wasser unter uns tobt und zischt. Das Boot ächzt und knarrt. Ich kneife die Augen zusammen, der Wind lässt sie tränen.
Das Schwanken des Bootes greift in meine Magengrube. Festhalten.
Wir sind in Sturm geraten. Die Wellen bäumen sich auf und was wie ein harmloser See aussieht, wird zum tobenden Galiläischen Meer.
Das Ufer, Boden unter unseren Füßen, weit entfernt.
Und so auch der, der uns führt und trägt.
Als wir losfuhren, war das Wasser klar und der See still.
Leise glitt der Rumpf des Bootes durch das Wasser, pflügt eine gerade Schneise ins Blau.
Wir scherzten und lachten.
Das Wasser glitzerte durch helle Blautöne hindurch.
Nun ist es schwarz und drohend,
die Gischt schlägt mir ins Gesicht.
Die Angst greift tief in mein Herz. Festhalten.
Ich bin in Sturm geraten.
In die Stürme des Lebens.
Wo mein Leben mich eben noch leicht dahingleiten ließ,
schlagen nun die Wogen über mir zusammen.
Ich habe alle Hände voll zu tun, dass ich nicht umgeschleudert werde.
Das Scherzen und Lachen versiegt.
Das glitzernde Blau weicht schwarzen Wogen.
Kein Glanz mehr in meinem Leben.
Die Tränen rinnen über mein Gesicht. Der Gegenwind peitscht sie mir aus den Augen.
Ich kralle mich fest an dem, was mir bleibt.
Der Schmerz schlägt mir in den Magen. Festhalten.
Die Angst greift tief in mein Herz. Festhalten.
Wir sind in Sturm geraten.
Unser Land verändert sich. Unsere Gesellschaft wird bunter.
Wir stehen vor Herausforderungen. Die Schere zwischen arm und reich geht immer weiter auseinander.
Menschen suchen Zuflucht bei uns, die anders geprägt sind, als wir.
Von Kulturen, die wir nur aus der Ferne kennen.
Von religiösen Traditionen, die wir nur holzschnittartig sehen, nicht selten verzerrt.
Die Gewalt, die andere Länder schon lange zerreißt, erreicht unsere Stadt.
Es scheint keine Klarheiten mehr zu geben. Was wir vorher einordnen konnten, gerät in Unordnung.
Immer mehr Wohlstand, aber wird das so weitergehen?
Es wird wenig gescherzt und gelacht. Mehr höhnisch gelästert und aggressiv aufgestachelt.
Eisiger Wind bläst durch die Gespräche und treibt manchem die Tränen ins Gesicht.
Sorge und Angst greifen nach unseren Herzen. Ein flaues Gefühl im Bauch. Festhalten.
Festkrallen an dem, was wir zu besitzen meinen.
Wir sind in Sturm geraten.
Die Welt fällt in die Hände des Nationalismus.
Wo eben noch klar war, dass unser Wohlergehen mit dem der Menschen in anderen Ländern eng verbunden ist.
Wo eben noch Menschenrechte und Schutz von Zivilisten galten.
Wo Diplomatie und Verständigung nicht die Welt retten konnten, aber doch Fortschritte errangen.
Wo Austausch und Handel und Vernetzung Grenzen aufhoben.
Da hören die Stürme der Finanzkrisen nicht auf und jedes Land schaut nur auf seine eigenen Interessen.
Da werden nun Mauern gefordert und Folter als funktional erklärt.
Da werden mit Lügen Wahlen gewonnen und die Unberechenbaren haben die Macht.
Da teilen nur die Landsleute dasselbe Blut und dieselben Träume.
Die Wogen des Egoismus schlagen hoch, der Sturm der Abgrenzung bläst uns entgegen.
Briten zuerst, Amerikaner zuerst, Franzosen zuerst, Deutsche zuerst.
Das Scherzen und Lachen ist verstummt. Manche sind sehr still geworden und sehr bleich.
Manche halten ihr Gesicht störrisch dem Sturm entgegen, die Tränen fließen ihnen über die Wangen.
Sind nicht die ersten schon über Bord gegangen?
Mit jeder Welle schlägt die Woge der Angst über unseren Herzen zusammen. Festkrallen.
Bis die Knöchel weiß hervortreten.
Wir sind in Sturm geraten.
Das Ufer, der Boden unter unseren Füßen, weit entfernt.
Und wo ist der, der uns führt und trägt?
Blick zurück – dein Drängen
Gedrängt hast du uns, Herr, ins Boot zu steigen. Schon vorauszufahren.
Wie wolltest du eigentlich nachkommen? Es gab doch kein zweites Boot.
Wolltest du uns loswerden? Warum eigentlich?
Wir wollen dir doch folgen und von dir lernen.
Uns hast du gedrängt.
Die Menge aber, die wir eben noch gemeinsam gespeist haben, die hast du in Ruhe verabschiedet.
So haben wir abgelegt vom Ufer. Mit dem Blick auf die Vielen, die satt geworden sind von fünf Broten und zwei Fischen. Beeindruckt von der Fülle, die bei dir entsteht.
Und nun sind wir in Sturm geraten.
In Stürme des Lebens.
In Stürme der gesellschaftlichen Veränderung.
In Stürme der Abschottung.
Hast du uns in diese Situation gebracht? Mit deinem Drängen?
Du bist doch Herr über die Mächte des Himmels und der Erde.
Wer mit fünf Broten und zwei Fischen eine Menschenmenge sättigen kann,
der müsste doch sehen, dass dieser Sturm aufkommt.
Und wo bist du eigentlich, Herr? Hast du uns ganz allein gelassen?
Du warst erschöpft, ja, das haben wir dir angesehen.
Bist du eingeschlafen?
Fühlst du dich hier nicht zuständig?
Es ist schon lange Nacht geworden. Über dem Kampf mit Wellen und Wind haben wir das Zeitgefühl verloren. An Schlaf ist nicht zu denken, mitten im Sturm.
Wo bist du, Herr? Bist du fern?
Sieh doch unsere Angst, unsere Tränen, unsere Verzweiflung.
Du kennst doch unser Herz.
Lass uns nicht allein.
Der mir entgegen kommt
Ich hebe meine Augen auf. Weiche dem Sturm aus, der mir die Augen tränen lässt,
und blicke zum Himmel.
Der Morgenstern. Der Morgenstern steht schon da. Die Nacht neigt sich dem Ende.
Ist dies nicht die Zeit, da Gott hilft?
So erzählen es die alten Geschichten.
Von der Nacht des Wachens, als das Volk auszog aus Ägypten.
Als er sie herausführte, der, dessen Name „Ich-bin-da“ heißt.
Als sie sich auf den Weg machten, um zu lernen, Gottes Volk zu sein.
Viele Jahre lang immer wieder neu Vertrauen übten.
In den, der Manna schenkt und das tägliche Brot.
In den, der Wasser aus Steinen fließen lässt und Wein zur Freude der Menschen.
Die Nacht neigt sich dem Ende.
Ist dies nicht die Zeit, da Gott hilft?
So erzählen es die alten Geschichten. Und auch deine Geschichte geht so.
Im Morgengrauen, da kamen drei Frauen zum Grab. Und siehe, hier ist er nicht.
Die Nacht ist nicht ganz dunkel, wenn Hilfe nah ist. Ich hebe meine Augen auf.
Und dann, zwischen Wellen und Sturm,
im ersten Vorschein des neuen Tages,
eine Gestalt.
Geht über das, was uns bedroht, hinweg.
Steht darüber, wird nicht angefochten von den Wellen, nicht weggefegt vom Sturm.
Sollte es…? Oder doch eine Erscheinung? Ein Traumgesicht? Ein Phantasma?
Wir schreien vor Angst auf.
Und hören dann seine Stimme.
Habt Mut!
Ich bin es!
Fürchtet euch nicht!
Der Sturm wird durchsichtig. Lässt sehen die Gestalt dessen, der die Macht des Lebens und der Liebe ist.
Stärker als jeder Sturm.
Stärker als der Tod.
Stärker als die Angst.
Stärker als der Hass.
Stärker als der Egoismus.
Der Ich-bin-da.
Und siehe, es trägt
Meine Hand löst sich aus der Verkrampfung.
Zu dir will ich. Der Macht des Lebens und der Liebe will ich gehören.
Bist du es wirklich? Dann sage mir, komm her!
Dann will ich durch Wellen und Sturm zu dir gehen.
Dann will ich durch die Lebensstürme gehen im Vertrauen, dass du nahe bist. Im Leben und Sterben, im Freuen und Trauern, im Streiten und im Versöhnen.
Dass du stärker bist als alles, was mir ins Gesicht schlägt und mir die Tränen in die Augen treibt.
Dann will ich loslassen, was loszulassen ist.
Und ich höre: Komm!
Bist du es wirklich? Dann sage mir, komm her!
Dann will ich durch Wellen und Sturm zu dir gehen.
Dann will ich den Wogen der Empörung nicht mehr Macht einräumen, als die Tatsachen erlauben und den Schreienden klar und sachlich widersprechen.
Dann will ich aushalten, dass ich nicht alles eingeordnet bekomme und mir manches fremd vorkommt.
Dann will ich durch den Wind der Veränderung gehen im Vertrauen, dass du nahe bist, mich aufmachen in neue Zeiten. und hin zu mir fremden Menschen.
Dann will ich leben, als ob Gottes Herrschaft ganz nahe ist und mich einsetzen für Gerechtigkeit. Dann will ich loslassen, was loszulassen ist.
Und ich höre: Komm!
Bist du es wirklich? Dann sage mir, komm her!
Dann will ich durch Wellen und Sturm zu dir gehen.
Dann will durch den Sturm dieses aggressiven Patriotismus gehen im Vertrauen, dass du nahe bist.
Dann will ich festhalten die, die anders sind, und doch dasselbe rote Blut bluten wie ich und dieselben Träume träumen. In allen Ländern der Erde.
Dann will ich fragen nach denen, die den Preis zahlen für Abschottung und neue Mauern, aber auch nach denen, die vom Fall der Grenzen durch Austausch und Handel und Vernetzung nichts haben.
Ich will zu dir aufbrechen durch Wellen und Sturm und nicht aufgeben.
Im Vertrauen, dass du nahe bist und das Wohl aller Menschen willst.
Dann will ich loslassen, was loszulassen ist.
Und ich höre: Komm!
Und siehe, das Schwankende trägt.
Das Wasser, die Wogen tragen.
Sind Boden unter meinen Füßen. Ganz nah.
Ausblick
Sicher werde ich einsinken.
Wenn sich der Sturm vor dein Angesicht schiebt.
Wenn ich meine Augen sinken lasse.
Vielleicht wäre besser, ich würde singen mitten im Sturm.
Vielleicht wäre besser, ich würde mit dir reden auf dem Weg.
Vielleicht wäre besser, wir gingen zu zweit oder zu dritt.
Dann würden wir gehen und im Gehen lernen, Gottes Volk zu sein.
Viele Jahre lang immer wieder neu Vertrauen üben.
In den, der Manna schenkt und das tägliche Brot.
In den, der Wasser aus Steinen fließen lässt und Wein zur Freude der Menschen.
In den, der Herr ist über Mächte und Gewalten.
Sicher werden wir einsinken.
Kleingläubige sind wir. Kleiner Glaube. Kleiner Glaube, der auf dem sturmgezausten See gehen lässt.
Kleingläubige sind wir. Warum hast du gezweifelt?
Weil das Leben, weil die Welt manchmal zum Verzweifeln ist. Weil du manchmal so weit weg scheinst. Weil der Sturm manchmal nicht durchsichtig wird.
Kleingläubige sind wir. Auf solche wie uns ist die Kirche gebaut.
Und nur der Zweifel unterscheidet Glaube und Wahn.
Sicher werde ich einsinken.
Bist du dann da? Greifst du meine Hand? Wenn ich vor Angst schreie. Wenn ich rufe: Rette mich.
Ist dann die Entfernung zwischen uns wie aufgehoben? Ziehst du mich heraus?
Matthäus 14, 22
Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. 24 Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. 25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 26 Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Angst. 27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Habt Mut, ich bin's; fürchtet euch nicht! 28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 30 Als er aber den starken Wind sah, bekam er Angst und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? 32 Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!