Eine biblische Betrachtung in fünf Teilen von Edgar Dusdal
Die Auseinandersetzung zwischen Einheimischen und Fremden liegt auch der Geschichte von Sodom und Gomorra zugrunde. Die Vernichtung der Städte erfolgt nicht zuletzt aufgrund ihres negativen Umgangs mit Fremden.
„Die zwei Engel kamen nach Sodom am Abend; Lot aber saß zu Sodom unter dem Tor. Und als er sie sah, stand er auf, ging ihnen entgegen und neigte sich bis zur Erde und sprach: Siehe, liebe Herren, kehrt doch ein im Hause eures Knechts und bleibt über Nacht; lasst eure Füße waschen und brecht frühmorgens auf und zieht eure Straße. Aber sie sprachen: Nein, wir wollen über Nacht im Freien bleiben. Da nötigte er sie sehr und sie kehrten zu ihm ein und kamen in sein Haus... Aber ehe sie sich legten, kamen die Männer der Stadt Sodom und umgaben das Haus, Jung und Alt, das ganze Volk aus allen Enden, und riefen Lot und sprachen zu ihm: Wo sind die Männer, die zu dir gekommen sind diese Nacht? Führe sie heraus zu uns, dass wir uns über sie hermachen. Lot ging heraus zu ihnen vor die Tür und schloss die Tür hinter sich zu und sprach: Ach, liebe Brüder, tut nicht so übel! Siehe, ich habe zwei Töchter, die wissen noch von keinem Manne; die will ich herausgeben unter euch und tut mit ihnen, was euch gefällt; aber diesen Männern tut nichts, denn darum sind sie unter den Schatten meines Dachs gekommen. Sie aber sprachen: Weg mit dir! Und sprachen auch: Du bist der einzige Fremdling hier und willst regieren? Wohlan, wir wollen dich noch übler plagen als jene. Und sie drangen hart ein auf den Mann Lot.“
Lot`s Umgang mit seinen Gästen, die ja Fremde sind, wird von den Sodomitanern kritisiert mit dem Verweis, dass er als Fremdling kein Sonderrecht für sich beanspruchen kann. Nach ihrer Rechtsauffassung wäre es legitim gewesen, sich an den Fremden zu vergehen. Einzig der schutzlose Fremde garantiert in dieser Geschichte den Fremden Schutz.
Da sie selbst Gastrecht und Fremdenschutz brachen, verwirkten sie vor Gott ihr Existenzrecht.
Im gelobten Land erfährt Abraham die Verheißung:
„Da sprach der HERR zu Abraham: Das sollst du wissen, dass deine Nachkommen werden Fremdlinge sein in einem Lande, das nicht das ihre ist; und da wird man sie zu dienen zwingen und plagen vierhundert Jahre.“ (1.Mose 15,13)
Das ist nicht unbedingt das, was man sich unter einer Verheißung vorstellt. Anstelle einer Heilsgeschichte wird hier eine Unheilsgeschichte in Aussicht gestellt. Und man fragt sich: Lohnt sich der am Beginn der Erzählung von Abraham geforderte Aufbruch, angesichts dieser Zukunftsaussicht? Vierhundert Jahre Unterdrückung aufgrund des Status eines Fremdlings?
Doch bevor sich diese Unheilsgeschichte einlöst, erfährt Abraham in vielfacher Hinsicht Aufnahme und Gastfreundschaft.
Sind es bisher Ägypter und Philister gewesen, so nun Hethiter:
Nach dem Tod seiner Frau Sarah heißt es: „Ich bin ein Fremdling und Beisasse bei euch; gebt mir ein Erbbegräbnis bei euch, dass ich meine Tote hinaustrage und begrabe. Da antworteten die Hetiter Abraham und sprachen zu ihm: Höre uns, lieber Herr! Du bist ein Fürst Gottes unter uns. Begrabe deine Tote in einem unserer vornehmsten Gräber; kein Mensch unter uns wird dir wehren, dass du in seinem Grabe deine Tote begräbst. Da stand Abraham auf und verneigte sich vor dem Volk des Landes, vor den Hetitern.“ (1.Mose 23,4ff)
Das Fazit der Vätergeschichten lautet: Sowohl Abraham als auch Isaak und Jakob müssen aufgrund von Hungerkatastrophen ihre Heimat verlassen und Zuflucht bei Philistern oder Ägyptern nehmen. Das Leben im von Gott verheißenen Land erweist sich als prekär. Es bietet immer nur Heimat auf Zeit.
Kommen wir, zu dem nach jüdischem Verständnis Religionsstifter des Judentums, zu Mose.
Auch seine Existenz, von Anbeginn bedroht, ist fast zeitlebens die eines Flüchtlings. Um überleben zu können, müssen seine Eltern seine Identität verleugnen. Nach dem Totschlag eines Aufsehers muss er aus Ägypten fliehen. In Midian findet er Zuflucht bei dem Priester Reguel: (2.Mose 2, 22)„Und er gab Mose seine Tochter Zippora zur Frau. Die gebar einen Sohn und er nannte ihn Gerschom; denn, sprach er, ich bin ein Fremdling geworden im fremden Lande“ (hebräisch ger Fremdling + schäam dort).
Das eigene Kind wird zum Symbol der Fremdheit und zugleich des sich selbst in der Fremde fremdgewordenseins.
Das, worunter Flüchtlinge am meisten leiden, der Gefahr zu erliegen, die eigene Identität zu verlieren, findet in dieser Geschichte auf der symbolischen Ebene eine verdichtete Ausdrucksform.
Zur lokalen Fremdheit kommt die Selbstentfremdung: „Ich bin ein Fremdling geworden im fremden Lande.“
Der Auszug aus Ägypten wurde zum Gründungsmythos des Volkes Israel, worauf, dies sei noch einmal vermerkt, das eingangs zitierte Bekenntnis verweist „Ein umherirrender Aramäer war mein Vater, und er zog nach Ägypten hinab und hielt sich dort als Fremder auf.“
In der Eingangsformel zu den 10 Geboten, gehört deshalb zur Selbstvorstellung Gottes, der Verweis auf dieses Ereignis:
„Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“
Gott ist ein Gott der Befreiung, der Menschen aus der Versklavung, aus Verhältnissen der Unfreiheit und Unterdrückung in die Freiheit führt. In der Bibel ist Gott ein Gott, der Heimat schenkt.
Aus dieser Fürsorge ergibt sich für jeden die Handlungsanweisung: Weil er uns Heimat schenkt, deshalb sollen auch wir Heimat schenken.
Donnerstag, 30. Oktober 2014
Vom Umgang mit Fremden (2)
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