von Pfarrerin Sapna Joshi

Mit Anfang Dreißig kenne ich den Ersten Weltkrieg nur aus dem Geschichtsunterricht, Büchern und Dokumentationen. Der Zweite Weltkrieg hingegen hatte auch in meiner Familie eine Rolle gespielt. Und immer wieder begegne ich Menschen, die ihre Erlebnisse mit mir teilen. Der Schrecken von Gewalt, Krieg und Vertreibung wird dann spürbar und ich bekomme eine Ahnung, welcher Stärke und welchen Glaubens es bedarf, solche Zeiten zu überstehen.
Gott mit uns – das stand damals auf den Koppelschlössern deutscher Soldaten. In vielen Kriegen, auch im Ersten Weltkrieg und sogar im Zweiten. Da waren dann die Worte rund um den Reichsadler geschrieben, der mit seinen Krallen das Hakenkreuz umfasst. Gott mit uns – die Deutschen haben den Spruch nicht erfunden, denn er steht in der Bibel. Immanuel heißt das auf Hebräisch. Und man dachte dabei eigentlich nicht an Krieg und Rechthaberei, sondern an ein neugeborenes Kind (vgl. Jesaja 7,14). Ein Kind, das Frieden bringen soll.
Gott mit uns – das ist auch einer der Hoheitstitel des jüdischen Zimmermannssohnes Jesus, der für uns Christen der Messias ist. Ein Friedensstifter. Der hat nichts zu tun mit Maschinengewehren, Handgranaten und Giftgas. Leider haben die Christen das oft vergessen.
Nicht nur im Ersten Weltkrieg. Es ist traurig – aber auch die Kirchen haben das Bibelwort missbraucht. Sie haben junge Menschen mit einem „Gott mit uns“ in Schlachten geschickt.
Doch mit wem ist Gott eigentlich, wenn Menschen Krieg führen? Mit den Russen? Mit den Deutschen? Mit den Franzosen? Mit den Engländern? Mit den Ukrainern? Mit den Syrern? Mit den Amerikanern? „Wir haben nicht Gott auf unserer Seite. Wir sollen uns auf Gottes Seite stellen.“ Das hat Madeleine Albright vor einigen Jahren in einem Interview gesagt. Wir sollen uns auf Gottes Seite stellen. Aber Gottes Seite müssen wir immer wieder suchen. Wir können nicht einfach sagen: Da, wo mein Standpunkt ist, da ist Gott. Um Gottes Seite zu finden, müssen wir uns bewegen.
Dafür müssen wir auch zweifeln, uns selbst in Frage stellen und auch mal unseren Standpunkt wechseln.
Denn wir haben nicht Gott einfach so auf unserer Seite. Wir sind es, die sich auf Gottes Seite stellen müssen. Wir müssen uns bewegen, wenn wir den Frieden wollen, den unsere Welt so dringend benötigt. Tastend, diplomatisch, im Gespräch mit anderen, auch mit unseren vermeintlichen Gegnern. Und wer weiß, wer da noch so alles steht – an der Seite Gottes.
Jedenfalls stelle ich mir die Seite Gottes vor ohne Maschinengewehre, Handgranaten und Giftgas. Darin sehe ich heute unsere Aufgabe als Christen: uns immer wieder bewusst auf die Seite Gottes zu stellen, für Menschenrechte und eine friedliche Welt für alle einzutreten. Denn Krieg ist kein Problem ausschließlich des 20. Jahrhunderts. Also lassen Sie uns gemeinsam an Gottes Frieden für seine Welt mitarbeiten.