Ich befahl mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeutete. Er wusste nichts und hatte nichts gehört. Beim Tore hielt er mich auf und fragte: »Wohin reitet der Herr?« »Ich weiß es nicht«, sagte ich, »nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.« »Du kennst also dein Ziel«, fragte er. »Ja«, antwortete ich, »ich sagte es doch: ›Weg-von-hier‹ – das ist mein Ziel.« »Du hast keinen Essvorrat mit«, sagte er. »Ich brauche keinen«, sagte ich, »die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.«
In dieser zuversichtlichen Parabel, beschreibt Franz Kafka das große Wagnis eines Lebensaufbruchs, bei dem sich das Selbst erneuert. Nicht alle Aufbrüche sind so radikal, so existentiell. Und doch steckt in jedem Aufbruch und Neuanfang eben jene Chance. Oder theologisch gesagt: wahrer Aufbruch geschieht nie ohne explizite oder implizite Verheißung. Das Ziel „nur weg von hier“ heißt also nicht, dass es am bisherigen Ort schlecht gewesen sein muss, sondern ist ein Plädoyer gegen eine Form von Stillstand, die mit Starre und damit Lebensfeindlichkeit gleichzusetzen wäre. Von alters her brechen Menschen wie Abraham auf Verheißung hin auf, geht das wandernde Gottesvolk durch die Zeiten, weil es hier keine bleibende Stadt hat. Und so versteht sich auch die Kirche als „ecclesia semper reformanda“, als sich stets erneuernde, verändernde Kirche.
Somit gehört zum Leben von Kirche und Gemeinde, ja zum menschlichen Leben schlechthin, das Kommen und Gehen, das Gewinnen und Verlieren, das Finden und Loslassen, der Aufbruch und das Ankommen. Gewiss, das ist nicht immer schmerzfrei und bleibt auch sicher nicht ohne Spuren. Aber zugleich ist es eben jener Kreislauf von Werden und Vergehen, Anfang und Ende, der unserem Leben Maß und Rhythmus, Höhen und Tiefen, Geschmack und Farben verleiht.
Zum Lebensweg gehört Vertrauen. Wer erst aufbricht, wenn er absolut sicher sein kann, das Ziel auch zu erreichen, wird sich wohl nie auf den Weg machen. Immer werden Zweifel und Einwände ihn hindern. Vertrauen ist nötig, um Zukunft zu gewinnen. In diesem Vertrauen wird über Zeit und Erfahrung Glauben wachsen, in dem die Hoffnung immer ein bisschen größer als die Angst sein wird. Dies ist zugleich das Einzige, was sich „als Vorrat“ anlegen und mitnehmen lässt. Andere Ausrüstung wird zuwachsen, wo sie nötig ist.
Das schließt Momente nicht aus, wo man all dies nur mit zitternder Stimme und von großen inneren Fragen begleitet zu bekennen versucht. Dann sind Menschen wichtig, die mit einem auf dem Weg sind, sei es für Etappen, sei es bis zum Ziel. In ihnen bezeugt Gott seine Begleitung und tragende Kraft.
Aufbrüche gibt es im Großen und Kleinen immer wieder, viele nicht ohne Trauer aber auch mit großer Hoffnung; mit einem Herzen voller Erfahrungen und beglückender Begegnungen und doch bereit für Neues.
Ich wünsche Ihnen allen, denen die gehen, denen die bleiben und denen, die kommen: Bleibt behütet und gesegnet auf allen Euren Wegen.
„An irgendeinem Punkt muss man den Sprung ins Ungewisse wagen. Erstens, weil selbst die richtige Entscheidung falsch ist, wenn sie zu spät erfolgt. Zweitens, weil es in den meisten Fällen so etwas wie Gewissheit gar nicht gibt.“