Eine biblische Betrachtung in fünf Teilen von Edgar Dusdal
„Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“
Die Bibel beginnt mit einer Vertreibungsgeschichte. Seitdem ist der Mensch ein Suchender, der sich nach Heimat, nach Beheimatung sehnt. Dem Begriff Heimat haftet seither ein paradiesischer Klang an. Im materiellen wie im geistig-geistlichen Sinne.
Im Hebräerbrief wird es dann heißen (Hebr 13,14): „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Es bleibt unsere anthropologische Bestimmtheit, dass wir, als Hineingeworfene in diese Welt, als aus der Urbeheimatung im Mutterleib Vertriebene, uns in Momenten der Verunsicherung und Gefährdung unbewusst dorthin zurücksehnen, dahin, wo Heimat und Geborgenheit noch ganz in eins fielen.
Erst am Ende der Zeit wird es wieder wie am Anfang sein. Im letzten Kapitel der Offenbarung des Johannes heißt es:
„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.
Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“
Doch bis dahin werden wir weiterhin als Söhne und Töchter Kains unser Leben „unstet und flüchtig“ verbringen.
Es ist die existenzialistische Grundgestimmtheit, die die Bibel hier formuliert, mit der jeder Mensch zurechtkommen muss. Wer sie akzeptiert, wird zugleich die Sehnsucht eines jeden Menschen nach Heimat nachvollziehen können.
Und dennoch blicken wir in unterschiedlicher Weise auf Menschen, die zu Flüchtlingen, zu Vertriebenen geworden sind, und sich nichts anderes ersehnen als Heimat.
Die Bibel reflektiert dieses Thema in vielfacher Weise. Wenn religio mit Rückbindung übersetzt werden kann, also dem Bemühen dem bindungslosen Menschen eine neue Verortung in dieser Welt zu ermöglichen, dann ist Heimatsuche das zentrale Identitätsmerkmal von Religion und ihr radikalstes (von radix -Wurzel) Anliegen. Die Bibel ist zugleich, pointiert formuliert ein Buch von Flüchtlingen für Flüchtlinge. Sie ist ein Buch, das von Vertreibung, Exil und Heimatsuche berichtet. Mit all den Konflikten, die dazugehören aber auch mit unterschiedlichen Lösungsangeboten.
Angemerkt sei hier nur, dass nach der Vertreibung aus dem Paradies auch in den weiteren Urgeschichten, die in der Bibel in den ersten elf Kapiteln beschrieben werden die Themen Flucht, Heimatlosigkeit, Orientierungsverlust virulent bleiben. Kain, so hörten wir bereits, ist zur Unstetigkeit verdammt, bis er zum ersten Städtegründer wird. Ihm folgt Noah. Er bleibt als einziger mit seiner Familie von den Folgen der unüberbietbaren globalen Katastrophe verschont, um den Preis, das er seine Heimat verliert. Auch die Geschichte vom Turmbau zu Babel endet mit dem Fazit: „Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.“ Von hier geht die Erzählung der Bibel direkt zur Geschichte Abrahams über, an dessen Anfang das Gebot zur Aufgabe der eigenen Heimat steht. Auch er, der Stammvater, wird zum Fremdling.
Das Wort „Fremdling“ kommt in der Bibel 112 mal vor, das Wort „Fremder“ immerhin 23 mal.
Das älteste Bekenntnis, das sich in unserer Bibel befindet, steht im 5. Buch Mose. Es beginnt mit dem Satz:
„Ein umherirrender Aramäer war mein Vater, und er zog nach Ägypten hinab und hielt sich dort als Fremder auf.“
Es ist zugleich ein zentrales Bekenntnis, dessen Bedeutungsweite sich erst erschließt, nachdem man sich die Breite der Texte genauer vergegenwärtigt.
Bereits unmittelbar nach Abrahams Ruf in die neue Heimat, „in ein Land, das ich dir zeigen will“, heißt es schon zehn Verse weiter: „Es kam aber eine Hungersnot in das Land. Da zog Abram hinab nach Ägypten, dass er sich dort als ein Fremdling aufhielte; denn der Hunger war groß im Lande.“
Die Ängste des Fremden und dass er abhängig ist vom Wohlwollen der Gastgeber, spiegelt sich bereits in den nächsten Versen : „Und als er nahe an Ägypten war, sprach er zu Sarah, seiner Frau: Siehe, ich weiß, dass du eine schöne Frau bist. Wenn dich nun die Ägypter sehen, so werden sie sagen: Das ist seine Frau, und werden mich umbringen und dich leben lassen. So sage doch, du seist meine Schwester, auf dass mir's wohlgehe um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen.“
Das Thema erfährt in der Abrahamsgeschichte eine Doppelung. Sie beginnt wieder mit dem aus Existenznot erzwungenen Aufbruch in die Fremde, dieses mal in das Land der Philister: „Abraham aber zog von dannen ins Südland und wohnte zwischen Kadesch und Schur und lebte nun als ein Fremdling zu Gerar.“
Die wechselseitigen Ängste, das Sich–bedroht–fühlen Abrahams, aber auch die Ängste der Einheimischen vor Verdrängung, werden hier erstmals thematisiert:
„Er sagte aber von Sarah, seiner Frau: Sie ist meine Schwester. Da sandte Abimelech, der König von Gerar, hin und ließ sie holen. Aber Gott kam zu Abimelech des Nachts im Traum und sprach zu ihm: Siehe, du bist des Todes um der Frau willen, die du genommen hast; denn sie ist eines Mannes Ehefrau. Abimelech aber hatte sie nicht berührt. Und Abimelech rief Abraham herzu und sprach zu ihm: Warum hast du uns das angetan? Und was habe ich an dir gesündigt, dass du eine so große Sünde wolltest auf mich und mein Reich bringen? Du hast an mir gehandelt, wie man nicht handeln soll. Abraham sprach: Ich dachte, gewiss ist keine Gottesfurcht an diesem Orte, und sie werden mich um meiner Frau willen umbringen.... Da nahm Abimelech Schafe und Rinder, Knechte und Mägde und gab sie Abraham und gab ihm Sarah, seine Frau, wieder und sprach: Siehe da, mein Land steht dir offen; wohne, wo dir's wohlgefällt.“
Obwohl Abimelech Abraham Heimatrecht gewährt, sorgt er sich darum, er könne ein Opfer seiner Hilfsbereitschaft werden. Deshalb erbittet er von Abraham: „So schwöre mir nun bei Gott, dass du mir und meinen Söhnen und meinen Enkeln keine Untreue erweisen wollest, sondern die Barmherzigkeit, die ich an dir getan habe, an mir auch tust und an dem Lande, darin du ein Fremdling bist.“
Dienstag, 28. Oktober 2014
Vom Umgang mit Fremden (1)
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