Eine biblische Betrachtung in fünf Teilen von Edgar Dusdal
Da Gott für den Schutz der Schwachen und Armen einsteht, ist auch der Schutz des Fremdlings für Gott ein zentrales Anliegen. Psalm 146,8-9 ist ein Beleg für diesen Zusammenhang:
„Der HERR macht die Blinden sehend. Der HERR richtet auf, die niedergeschlagen sind. Der HERR liebt die Gerechten. Der HERR behütet die Fremdlinge und erhält Waisen und Witwen; aber die Gottlosen führt er in die Irre.“
Der Fremde ist nicht mehr aufgrund seines Fremdseins per se der Feind, und der zum eigenen Volk gehörende Mitmensch wird nicht allein durch diesen Status zum Freund, sondern der Gottlose, ob Israelit oder Ausländer, wird zum Feind Gottes. Weil Gott hier eine neue Einordnung vornimmt, soll auch der Israelit im Fremden seinen Nächsten erkennen. Der bereits gehörte Abschluss des Heiligkeitsgesetzes Levitikus 26 verdeutlicht das noch einmal.
Wie bereits erwähnt, wird das Gebot der Nächstenliebe in besonderer Weise auf den Fremdling bezogen. Ihm soll in privilegierter Weise die Liebe zukommen, da er sie am dringendsten benötigt. Desgleichen wird zur Erklärung, wie bereits mehrfach beschrieben, der Bezug zur eigenen Fremdheitserfahrung hergestellt.
„Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der HERR, euer Gott.“
Sich gegen den Fremden zu vergehen, ihm nicht das zu geben, was er braucht, wird so zu einem Vergehen gegen Gott selbst.
Das Modell der Abgrenzung gründet in der Erfahrung und Gefahr des kultischen Abfalls. Besonders das Königtum mit seinen Heiratsbeziehungen zu anderen Herrscherhäusern brachte es mit sich, dass auch die Kulte der Angeheirateten im Tempel praktiziert wurden. Dies sahen besonders die prophetischen und königskritischen Gruppen in Israel problematisch.
Das Modell der Integration gründet in einer ganz anderen Erfahrung. Nachdem 721 v.Chr. die Assyrer das Nordreich Israel erobert hatten, flohen viele aus dem Nordreich in das Südreich Juda. Doch dies ist nicht der primäre Anlass des Integrationskonzeptes, wenn er auch nicht unberücksichtigt bleiben sollte. Entscheidender ist, dass das Integrationskonzept aus dem Verarbeitungsprozess der Niederlage hervorgegangen ist. Weil man zuvor nicht das Recht garantierte, wie es die Propheten immer wieder einklagten, weil man, die besonders Gott am Herzen liegenden Witwen, Waisen und Fremdlinge in ihrer Würde verletzte und sie missachtete, deshalb bestrafte Gott das Nordreich mit der Niederlage. Mit anderen Worten: um eine zukünftige Strafe Gottes nicht zu provozieren, war es zwingend notwendig den Fremden zu integrieren. Damit war es möglich, Flüchtlinge, die aus anderen Staaten vor den Assyrern Zuflucht in Juda suchten, positiv aufzunehmen. Ziel der Gesetzgebung war ihre soziale und religiöse Integration.
Israel wird mit seiner Sozialmoral und seiner auf Solidarität basierenden Gruppenidentität zum Gegenmodell zu den orientalischen Militärmächten seiner Zeit. Das Heiligkeitsgesetz will das dann auch für die Zeit nach dem babylonischen Exil sicherstellen.
Dienstag, 4. November 2014
Vom Umgang mit Fremden (4)
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