
Brücken werden gebaut, um Verbindungen herzustellen, Verbindungen zwischen getrennten Ufern, sie überbrücken Schluchten, Flüsse, Abgründe, Gegensätze. So wird die Brücke zum Gleichnis für die Kommunikation zwischen Menschen. Doch wir Menschen sind sehr unterschiedlich; deshalb gelingt die Kommunikation zwischen uns oft nicht. Wir alle sind geprägt durch unsere Vergangenheit, unsere Familie, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, einer Nation und auch einer Religion. Deshalb können wir Menschen anderer Herkunft, anderer sozialen Gruppen oder auch Nationen oft nicht verstehen. Wer Brücken baut, trägt dazu bei, dass Gegensätze überwunden werden, dass Verständigung möglich wird. Deshalb ist Brückenbauen so wichtig, denn ohne Verstehen des anderen, ohne Verständigung zwischen Völkern und Religionen kann es keinen Frieden in der Welt geben, die voller Gegensätze ist, die uns gerade in der globalen Gesellschaft bedrängend zum Bewusstsein kommen. Wer Frieden will, muss Brücken bauen.
„Herr, ich möchte den Mut zum Bau von Brücken haben.“ So beginnt ein Gebet des Theologen Ernst Lange (1927 – 1974). Er gründete die Ladenkirche in Berlin-Spandau, wo er Brücken zu den Randsiedlern der Kirche baute, zu den Armen und Ausgegrenzten, er bemühte sich um die Reform der Kirche und lehrte als Praktischer Theologe an der Kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf. Im Ökumenischen Rat der Kirchen schlug er Brücken in die weltweite Kirche. In der Zeit des Kalten Krieges formulierte er sein Gebet: „Ich möchte den Mut zum Brückenbau haben auch dort, wo Brückenbau unpopulär ist, quer hindurch durch die eisernen Vorhänge der Angst, der Selbstgerechtigkeit.“ Sein Gebet schließt mit den Worten: „Ich bitte dich um den Mut zum Brückenbau!“ Seine Worte sind gerade heute wieder sehr aktuell.
Er wusste, dass Mut dazu gehört, wenn wir Brücken bauen wollen. Denn der Brückenbauer gerät oft zwischen die Gegensätze. Brückenbauen ist nicht populär, denn es bricht die geschlossenen Kreise der Selbstgerechtigkeit auf, es stellt kritische Fragen an diejenigen, die meinen, das Recht auf ihrer Seite zu haben. Aber Verständigung ist wichtiger als Rechtbehalten. Dazu gehört, dass wir uns „in die Schuhe der anderen stellen“, dass wir die Welt auch aus der Perspektive der anderen sehen. So wird „Entfeindung“(Hannah Arendt) möglich, nur so können aus Feinden Freunde werden!
Woher nehmen wir heute den Mut zum Brückenbauen? Die Antwort kann uns der Brief an die Hebräer geben: „Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde…“(Hebr. 4,14-15).
Die Gemeinde des Hebräerbriefes war eine angefochtene Gemeinde. Es gab erste Anzeichen einer bevorstehenden Verfolgung. Schon blieben Gemeindeglieder den Gottesdiensten fern. Einige zweifelten an dem eingeschlagenen Weg, sie wurden irre am Bekenntnis. Sollten sie sich dem Leiden, der Verfolgung aussetzen? In diesem Zusammenhang verweist der unbekannte Verfasser auf den „großen Hohenpriester“, Jesus Christus. Er verwendet dabei einen Begriff, der im römischen Reich die Funktion der Priester als Brückenbauer beschrieb: Pontifex (Lateinisch: Brückenbauer). Gedacht war dabei an die Brücke zum Heiligen, zu Gott. In der jüdischen Tradition wurde das Wort verwendet zur Bezeichnung des Hohenpriesters: Pontifex maximus. Der „Hohepriester“ hat nach dem 3. Mosebuch (Kap. 16) einmal im Jahr am Versöhnungstag das Opfer zur Versöhnung zwischen Gott und seinem sündigen Volk darzubringen. Aber er blieb natürlich ein Mensch wie jeder andere, er war selbst ein Sünder und nicht ohne Schuld. Deshalb musste das Opfer Jahr für Jahr wiederholt werden.
Anders Jesus Christus. Er hat in seiner Hingabe unsere Schwachheit auf sich genommen, er leidet mit uns und an unserer Statt, er, der von keiner Sünde wusste. Aber gerade durch sein Opfer, durch seine Hingabe hat er das Werk der Versöhnung „ein für allemal“ vollbracht. Durch ihn ist die Brücke zwischen Gott und seinem Volk geschlagen, Gott und Mensch sind versöhnt durch ihn, den Versöhner, den Brückenbauer. Im Vertrauen auf ihn können wir auf die Gnade Gottes bauen und Vertrauen wagen, auch in Zeiten der Anfechtung: „Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat“(Hebr. 10,35). Jesus Christus ist der Brückenbauer schlechthin.
Das Neue Testament beschreibt den Weg Jesu Christi als Werk der Versöhnung. Wir kommen von Weihnachten her. In der Geburt des Jesuskindes im Stall von Bethlehem kommt Gott zu den Menschen. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“(Joh. 1,14). Die Evangelien beschreiben Jesus als den Menschenfreund, der den Menschen Gott nahebringt, indem er ihnen ihre Sünden vergibt, sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch setzt, Armen und Kranken Trost und Hilfe verheißt. „Das Reich Gottes ist nahe.“ Inzwischen hat die Passionszeit begonnen. Wir begleiten Jesus Christus auf seinem Leidensweg. Das Brückenbauen hat ihn zuletzt in Gegensatz zu den Mächtigen seiner Zeit und damit ans Kreuz gebracht. Aber gerade in seinem Leiden und Sterben hat er das Werk der Versöhnung vollendet. Der Apostel Paulus hat wie kein anderer sein Versöhnungswerk entfaltet: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben“(Römer 3,28). Als Martin Luther 1517 die Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern forderte, machte er die Versöhnung zum Ausgangspunkt der Reformation: „allein durch den Glauben, allein aus Gnaden.“ Bald kommt Ostern. Da feiern wir die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Ostern bedeutet, dass Gott sich zu diesem Brückenbauer bekannt und damit dem Tode die Macht genommen hat. Die Brücke der Versöhnung trägt auch über den Abgrund des Todes, so dass uns auch der Tod nicht von der Liebe Gottes trennen kann.
Nun ruft uns der Brückenbauer Jesus Christus in seine Nachfolge, damit wir Brücken bauen über die Abgründe von Hass, Unfrieden und Gewalt, die unsere Welt bedrohen. In der Bergpredigt wird uns gezeigt, wie Frieden gestiftet werden kann – durch Vermeidung von Verunglimpfung, durch Versöhnung mit dem Nächsten noch vor dem Gottesdienst, durch Eindeutigkeit der Rede („Ja-Ja, Nein-Nein“), Verzicht auf Vergeltung, Barmherzigkeit gegenüber Bedürftigen, ja durch Feindesliebe. Es gibt keinen Weg zum Frieden, zur Versöhnung als diesen: Brückenbauen in der Nachfolge Jesu Christi.
Das fängt schon im Kleinen an, bei uns zu Hause: Im Gespräch untereinander, Indem wir einander ausreden lassen, erst zuhören, dann reden, darauf achten, dass das Gespräch nicht abbricht, gerade in kritischen Situationen. Oft ist es auch schwierig zwischen den Generationen, zwischen den Alten, die ihre Erfahrungen zum Maßstab erheben, und den Jungen, die ihre eigenen Erwartungen dagegen stellen. Auch in der Gemeinde gibt es Missverständnisse und Spannungen, die erst ausgeräumt werden sollten, bevor wir zum Abendmahl gehen und Beschlüsse fassen. In unserem Land erleben wir gerade wieder, wie sehr Vorurteile und diffuse Ängste vor „den Anderen“ die Atmosphäre vergiften. „Natürlich sehen wir ein, dass die Flüchtlinge, die hier Zuflucht suchen, untergebracht werden müssen – aber bitte nicht vor unserer Haustür!“ Wir sollten die Ängste der Menschen nicht leicht nehmen. Vor allem hilft es nicht, das vermeintlich Gute mit Gewalt durchzusetzen. Das Gute kann nur im Guten verwirklicht werden. Also kann es Lösungen nur durch Dialog geben, d.h. Bitten um Verständnis, eben Brückenbauen. Es gehört Mut dazu, auch heute den Worten der Bergpredigt zu folgen: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Matth. 5,44f). Das ist nicht populär, das stellt unser Weltbild in Frage.
„Herr, ich möchte den Mut zum Bau von Brücken haben.“