von Pfarrer Edgar Dusdal
Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Wir stehen immer in dem Dilemma, das uns einerseits das Bilderverbot auferlegt wurde und wir gleichzeitig ohne, zumindest ohne sprachliche Bilder Gott weder denken noch zur Sprache bringen können. Insofern gilt auch für die Jahreslosung, dass es sich hier um einen vielleicht hilfreichen, vielleicht aber auch hilflosen Versuch handelt, Gott zu denken.
Im Schöpfungsbericht heißt es:
"Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau."
Insofern gilt zumindest hier das Gott zweigeschlechtlich gedacht ist, erst Mann und Frau als Einheit gedacht, ergeben sein wie aus Puzzleteilen zusammengesetztes Bild. Vielleicht ist unserem begrenzten Vorstellungsvermögen dieses nicht immer präsent, so das wir entweder kulturell bedingt überwiegend männliche und punktuell weibliche Bilder benutzen, um Gott zur Sprache zu bringen. Dabei ist Gott eigentlich ein Fall, den es in unserer Sprache nicht gibt. Nicht geben kann. Gott hat kein Genus, kein Geschlecht, denn das gibt es nur in der von Gott geschaffenen Schöpfung. Früher wurde deswegen in unserer Sprache der Elativ (absoluter Superlativ) benutzt, der über dem Superlativ steht und über die Schöpfung hinaus greifen will. Gott ist, so die Quintessenz des Gedankens mit unserer Grammatik eigentlich nicht zu erfassen.
Weil wir diese Höhe der Reflexion immer wieder schnell verlassen, gelangen wir in das Dilemma Gott lauter Anthropomorphismen anzudichten, mal männlicher mal weiblicher Gestalt. Die Jahreslosung ist dafür nur ein Beispiel.
Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Für manche ist dieser Satz hilfreich, für manche Anlaß genug, sich den Glauben an Gott abzugewöhnen. John Lennon litt fast sein Leben lang darunter, dass er als Fünfjähriger von seiner Mutter weggegeben wurde, weil diese sich von ihm und den Verhältnissen überfordert fühlte. In seinem Song Mother beschreit er diesen Zustand, seine Mutter nie gehabt zu haben:
"Mutter, du hattest mich, aber ich hatte dich niemals,
Ich wollte dich, aber du mich nicht
Also, werde ich dir nur "Goodbye" sagen."
Für Lennon brauchte es nach dem Tod seiner Mutter, er war damals 18 noch lange um ihr auch innerlich Good bye sagen zu können.
Auch Pink Floyd besingen in ihrem Song "Mother" nicht gerade eine idyllische Mutter-Kind Beziehung:
"Leise Kindchen, leise, weine nicht.
Deine Mama wird schon dafür sorgen,
dass deine Alpträume wahr werden.
Deine Mama wird es schon schaffen,
all ihre inneren Ängste auf Dich zu übertragen.
Deine Mama wird dich schon unter ihren Fittichen halten.
Sie lässt Dir keine Luft zum Atmen, aber sie könnte dich singen lassen.
Deine Mama wird es dir kuschelig und warm bereiten.
Oooh Kindchen Oooh Kindchen Oooh Kindchen
Natürlich helfe ich dir, dich einzumauern!"
Möchte man sich von dieser Mutter trösten lassen? Auch wenn hier ein göttlicher Anspruch in diesem Mutterbild mit durchschimmert? Denn zumindest das alte Angstbild "Gott sieht alles" besingt Pink Floyd ein paar Zeilen später:
"Mama wird sich all deine Freundinnen genau ansehen!
Mama wird keine schmutzigen Mädchen durchgehen lassen!
Mama wird aufbleiben, bis du nach Hause gekommen bist!
Mama wird immer herausbekommen, wo du warst!"
Heute haben Mütter mehr Schwierigkeiten denn je, ihre Rolle zu finden. Schon die Rolling Stones besangen aus diesen Gründen bereits in den Sechzigern in Mother`s little helper, dass Mütter es nur noch mittels Drogen, also ihren kleinen Helfern, vermögen, den Tag durchzustehen und am Ende nur noch den Todesweg beschreiten können. Heiner Müller fordert etwas später in Herakles 2 gar apodiktisch:
"Skandiert vom Knacken seiner Halswirbel im mütterlichen Würgegriff. Tod den Müttern"
Ich will es bei diesen Beispielen belassen und nur noch aus Peter Wawerzineks Kindheitsroman "Rabenliebe" zitieren, in dem er davon berichtet, das seine Mutter den damals zweijährigen mit seiner jüngeren Schwester einfach in der Wohnung zurückließ und in den Westen ging Jahrzehnte später, nach dem Mauerfall, erfährt er, dass sie noch lebt und entschließt sich, sie aufzusuchen.
"Die Ausbeute nach dem Besuch der Mutter füllt am Ende der Jahrzehnte dauernden Reise keinen Fingerhut im Vergleich zu den Gedanken, die ich mir mein Leben lang zur ihr gemacht habe, diesem See an Sehnsucht, von
mir mehrfach umrundet, dieses ewige Sechstagerennen um das Mutterfühlen. Der Besuch ist im Grunde genommen wertlos. Ich veredle mein Erdendasein nicht dadurch, dass ich nach fünfzig Jahren die Mutter heimsuche. Ich
stehe wegen meiner Mutterlosigkeit längst keine wilden Träume mehr aus, wälze mich nicht mehr, wie das mutternackte Kind im Heimbett sich gewälzt hat, wehmütig nach der Mutter rufend, im Wunsche, sich an der Todeskälte der abwesenden Mutter zu wärmen. Ich beginne, wenn ich die Mutter besucht habe, im Moment des Abschiedes mit der Niederschrift zum Besuch, das meinem mutterlosen Status ein Ende bereitet; und ist das Buch geschrieben, komme ich im Jahr Null meiner Einsamkeit an. Die Mutter wird gegenstandslos, ein Wortgebilde, das seine Macht über mich verliert."
Grade diese ins Leere gehende Sehnsucht nach einer tröstenden Mutter, verdeutlicht, wie wichtig die Mutterbeziehung ist, und wie groß die Gratwanderung, wenn wir solche Bilder bemühen um uns Gott in ihnen zu denken.
Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Trösten kommt etymologisch von treu sein. Wenn Gott tröstet wie eine Mutter, dann ist er also treu wie eine Mutter. Auch wenn bisher nur von untreuen Müttern oder albtraumartigen Übermüttern die Rede war. Diese Wendung zum treu sein, oder dem trauen können will vielleicht verdeutlichen, dass sich Kinder bezüglich der biologischen Herkunft der Mutter immer gewiß sein können. Und die Muttertreue über der Vatertreue steht, denn nur die Mutter weiß ganz unmittelbar, wen sie gebar und wer sie zur Mutter machte. Doch angesichts der vielen auch prekären Mutter- und Vatererfahrungen, bleibt vielen nur die Hoffnung, das uns auch hier Gott im Elativ begegnet, also alle Mutter und Väterbilder übersteigt. Denn Trost, den brauchen wir allemal. Und oftmals wegen unserer Mütter und Väter.
Amen
Ihr habt nun Traurigkeit;
aber ich will euch wiedersehen,
und euer Herz soll sich freuen,3A
und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
(Johannes 16, 22)
Ich will euch trösten,
wie einen seine Mutter tröstet.
(Jesaja 66, 13)
Sehet mich an: Ich habe eine kleine Zeit
Mühe und Arbeit gehabt
und habe großen Trost gefunden.
(Jesus Sirach 51, 35)
Überwältigend schöne Musik. Die Treue Gottes scheint mir eine der Kernaussage dieses Requiems zu sein.
Diese Musik ist ebenfalls Trost - jedenfalls war sie es beim Tod meines Vaters und meiner Mutter.
Vielen Dank für die Betrachtung zur Losung
Bernhard